Linux Weekend, FidoCon 2001 - HNA: Andy

Sonntag, 21.10.2001 auf der ComputerSeite der HNA SonntagsZeit:

Strukturgeber im Netz der Daten

ICANN-Direktor Andy Müller-Maguhn zu Gast bei Linux-Treffen in Kassel

VON UNSEREM REDAKTEUR MARIUS KAUSCH
Was ist das Internet? "Nichts weiter als ein Haufen Computer." Doch daran, dass die Struktur und die schiere Größe dieses verkabelten Haufens der digital vernetzten Menschheit gegenwärtig nicht nur Freude bereitet, lässt Andy Müller-Maguhn kaum Zweifel.

Foto zeigt Andy Müller-Maguhn

"Das Internet im Netz der Begehrlichkeiten" lautete das weit gespannte Thema seines Vortrags als Gastredner beim jüngsten "Linux Weekend" in Kassel. Und der 29-jährige Daten-Experte, namhafter Chaos-Computer-Club-Sprecher und von Netznutzern gewählter Europa-Direktor der oftmals - aber unzutreffend -

Ringen um Macht und Einfluss

als "Internetregierung" apostrophierten ICANN, gab rund 70 gebannt lauschenden Anwesenden im Willi-Seidel-Haus einen überblick über das zähe Ringen um Macht und Einfluss auf das Netz der Netze. Beispiel: Adressen. Wer sagte da noch, Namen seien Schall und Rauch? Heute sind sie eher wie Gold und Silber. Als gültige Internet-Adresse gar sind griffige Bezeichnungen im Netz ebenso rar wie begehrt und werden zur erbittert umkämpften Ware. Der Hintergrund: Feste Teilnehmer im Internet sind per IP-Nummer exakt adressierbar, dieser wiederum werden auf Antrag Namen zugeordnet, und zwar eindeutig - getreu der alten Highlander-Weisheit "Es kann nur einen geben".
Die Folge: Streitfälle zwischen Markenrechtsinhaber und Domainnamen-Besitzer sind programmiert. Und wenn's um viel Geld geht, ziehen letztere gegenüber den kommerziellen Rivalen regelmäßig den Kürzeren, erläuterte Müller-Maguhn. Die Tricks, um jemandem einen Namen wieder abzujagen, seien verbreitet, so Müller-Maguhn weiter. Das ginge bis zu fingierten Zeugenaussagen, die in "böser" also sittenwidriger - Absicht betriebenes Domain-Grabbing unterstellen, um einen Anspruch auf Freigabe des begehrten Namens zu begründen. In diesem Licht erscheint verständlich, warum sich dieses profitträchtige Geschäft zum internationalen Tummelplatz für Namen- und Markenrechtsanwälte entwickelt. Dabei gilt, so scheint es, das Recht des Stärkeren: 95 Prozent der Entscheidungen begünstigten die Markenrechtsinhaber.
Müller-Maguhn sparte nicht mit Fingerzeigen auf die grundsätzlichen Probleme des Internet und ihre Ursachen. Das Domainnamen-System ist zentralistisch, hierarchisch aufgebaut dem stehen die dezentralen Netzstrukturen gegenüber. Der gleichberechtigte Teilnehmer bleibt Theorie. Bereits die Organisation der Zugänge mündet in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die Majorität nutzt einen Provider und besitzt somit nur den Touristen-Status mit einer für die Dauer der Einwahl vergebenen dynamischen IP-Nummer Zaungäste im Netz.
Als weltweiter Kulturraum begriffen, stößt die Vernetzung auf nationale Empfindlichkeiten, und das nicht nur in Ländern mit minderdemokratischen Strukturen. Jeder darf publizieren - doch wer tut das und produziert dabei Sinnvolles für andere? Müller-Maguhn: "Wenn 95 Prozent Sauger sind und fünf Prozent im Netz die Arbeit machen, dann wäre es schon schöner, wenn sich mehr Leute einbringen könnten."
Bits, digitale Daten also, neigen dazu, sich unkontrolliert zu vermehren - kopieren genügt. Zum Schutz des geistigen Eigentums, Musik auf viele Tonnen Plastikscheiben - sprich: CDs zu verteilen, ist auch unter Umweltschutzaspekten nicht mehr zeitgemäß. Vertriebskonzepte, die auch den Künstlern gerecht werden, müssten im Netz gefunden werden. Ansonsten gilt im Internet immer noch alles da: Skurriles, Subversives, Radikales. Wer sucht, der findet.

Beam me up, Scotty! - Heisenberg-Kompensator der Marke Eigenbau

Gewährleistung meist ausgeschlossen, und das ist nicht immer so offensichtlich, wie bei Müller-Maguhns Exkurs zu einem Basteltipp, der im Saal für schallendes Gelächter sorgte. Eine Website präsentiert einen veritablen Star-Trek-Beamer zum Selberbauen. Als "Heisenberg-Kompensator" macht das von Heimwerkern zerlegte Mikrowellengerät im Netz Furore. Zwischen Spaß und Ernst so etwas wie ein Fazit auf kleinem Nenner: Allen Unkenrufen, enttäuschten Hoffnungen und beklagenswerten Mängeln zum Trotz - das Internet funktioniert, weil es den technischen Vorzug der Einheitlichkeit besitzt. Müller-Maguhn: "Mit dem TCP/IP- und DNS-System erreichen Sie je den Computer auf diesem Planeten."