Linux Weekend 2000 - HNA: Wau Holland

Am Sonntag, 4. Juni 2000 stand in der HNA Kassel:

Sein Karma ist der Computer

Vorspann:Vor fast 20 Jahren hat er den legendären Chaos Computer Club ins Leben gerufen, der bis heute für Schlagzeilen sorgt. Nun betreut Wau Holland Jugendliche in Jena und hält Vorträge.
WAU HOLLAND

Foto: Wau Holland
Bild:Unkonventionelles Äußeres, wacher Verstand: Wau Holland, Mitbegründer und heute Ehrenvorsitzender des Chaos Computer Clubs. (Foto: Koch)

KASSEL: Er sieht aus wie einer, der auf dem Flohmarkt Räucherstäbchen verkauft. Rauschebart, Zusselhaare, milder Blick. An den Füßen Jesuslatschen, den untersetzten Körper in einer Art Indianermontur (die sich als westafrikanische Kleidung entpuppt), so erscheint er zum Vortrag. Sein Karma - und sein Thema - ist der Computer. Als ein führender Kopf des Chaos Computer Clubs hat Herwart Holland-Moritz, Künstlername: Wau Holland, die Welt in Atem gehalten. An seine Heimatstadt Kassel ("Die größte Kleinstadt Deutschlands") hat er nur wenige Erinnerungen. Fasanenhofschule, Fallobst sammeln, Uhrenturm-Besichtigung - mehr fällt ihm nicht mehr ein. Als er zehn Jahre alt war, zog die Familie nach Marburg. "Dort war ich entschieden glücklicher." Wohl auch wegen der Pfadfinder, bei denen er viel darüber lernte, "was in der Gesellschaft wichtig ist". Angepasst war Herwart Holland-Moritz aber nie. Die Uni verließ er nach ein paar Semestern Mathematik, Politik, Elektrotechnik und Informatik ohne Abschluss, dafür jobbte er bei einem Radio- und Fernsehhändler. Ein Aufsatz von Hans Magnus Enzensberger ("Bausteine zu einer neuen Theorie der Medien") gab schließlich den Anstoß dazu, dass er sich mit elektronischer Datenverarbeitung befasste. Englisch lernte der frühere Schüler eines humanistischen Gymnasiums aus Computerhandbüchern. 1977 schrieb er sein erstes Programm, von dem er wusste, "das hat kommerziellen Wert". Nach einer Zwischenstation in Hamburg, wo er als Computerexperte arbeitete, machte er sich selbstständig und zog nach Berlin. Dort schrieb er für die links-alternative Tageszeitung (taz) und brachte die Computerzeitung "Datenschleuder 1" heraus. In Räumen der taz wurde 1981 auch der Chaos Computer Club ins Leben gerufen. Der verstand den Computer nicht nur als Spiel- und Werkzeug, sondern als völlig neues Medium. "Wir waren kleine Jungs", erinnert sich Holland, "fasziniert von der Technik." Und die hielten die Öffentlichkeit ganz schön auf Trab. Geld transferiert Ihren ersten großen Coup landeten sie 1984. Sie hackten sich in einen Polizei-Computer ein. Ein anderes Mal überwiesen sie per Mausklick 135 000 Mark von einer Hamburger Bank auf ihr Clubkonto. Das Geld gaben sie später wieder zurück. "Wir wollten Lücken im Computersystem aufzeigen und beweisen, dass wir weder terroristisch noch kriminell sind." Doch sei man der Meinung, dass ein so teures Kommunikationssystem wenigstens sicher sein sollte. Die Clubmitglieder hätten immer sehr genau überlegt, sagt der 48-Jährige, wie sie ihr Ziel erreichen, ohne Prügel dafür zu beziehen. Ganz unbedarft waren sie dabei nicht. In Hamburg habe ein Polizist "zum frühen Brainstorming-Kreis" gehört, erzählt der Computerfreak. "Der hat für den nötigen Realitätsabgleich gesorgt." Später beriet der Club die erste Grünen-Fraktion im Bundestag. Die sei bis auf Petra Kelly und Gerd Bastian "gegen die bösen Maschinen" gewesen. Auch sonst begegnete man dem Computer und den Clubmitgliedern in Bonn sehr skeptisch. "Die hatten so eine Angst vor uns, dass die uns zuerst keinen Raum geben wollten." Die Ankündigung, man werde dann einen Wohnwagen mit Satellitenschüsseln aufstellen, schien den meisten einen noch größeren Horror einzujagen. Die Politiker hätten Angst gehabt, der "merkwürdige Haufen" werde den Bundestag abhören. "Die CDU hatte die wenigsten Berührungsängste", berichtet er. Sie habe sich schon sehr früh vernetzen lassen. Doch nur die wenigsten hätten damals die Chancen der neuen Technik tatsächlich erkannt. Und den Ruf nach freier Software "den haben natürlich noch weniger verstanden". Auch deshalb konnte Bill Gates ("Visionär mit Tunnelblick") ungehindert sein Imperium aufbauen. Doch Holland, der Computervater Konrad Zuse noch kennen lernte, ist sich sicher: "Die freie Weitergabe von Wissen ist auf Dauer mächtiger als ein Monopol." Heute betreut der Hobbykoch und Querdenker den Internetraum eines Jugendzentrums in Jena. Seine Antwort auf die Green-Card-Debatte: "Macht aus Kindern kompetente Inder." Bezahlt wird er für seine Arbeit nicht. Er lebt von Vortragshonoraren und Lehrerfortbildung. "Das ist das Zäheste, aber verdammt wichtig."

VON ELLEN SCHWAAB Zwischentitel-2: KARRIEREN AUS KASSEL