Linux Weekend 2000 - Bericht von Carsten Böddicker

Am 15. und 16. April 2000 fand das Kasseler Linux-Weekend statt. Weil die Veranstaltung ein großer Spaß für alle Beteiligten war, möchten wir mit diesem Artikel beschreiben, wie es lief, um damit andere, unentschlossenere Linux User Groups (LUGs) motivieren zu können, etwas ähnliches zu tun.

Die Idee - Benny und das Team

Die Idee, eine größere Veranstaltung zu machen, kommt von ganz allein, wenn man bereits die dritte Installationsparty hinter sich hat. Wir wollten einen neuen Weg gehen, damit die Themengebiete sich von der reinen Installation weg, hin zu den spezielleren Dingen verlagern. Dabei standen folgende Linux-bezogene Fragen im Vordergrund: was gibt es, was geht, was ist möglich, was ist gerade im Rollen, und was geht noch nicht!

Die LUG in Kassel ist überaus heterogen besetzt durch Schüler, Lehrlinge, Studenten, normale Computer-Benutzer, aber auch durch Programmierer, Datenbank-Spezialisten und Systemadministratoren. Daraus ergab sich die Möglichkeit, eine bunte Mischung an Themen anbieten zu können.

Vorbereitung

Bei einem unserer üblichen Stammtisch-Treffen und auf dem elektronischen Kommunikationsboard (Internet-News/Mail) wurde erstmal die Idee geboren und langsam in Formen gebracht. Was ist für wen interessant (z.B. Spiele, Office, Multimedia bzw. Linux als große Gemeinschaft), wer kann was demonstrieren (Spezialisten, die sich einem Publikum stellen möchten), wer möchte etwas machen (z.B. die Organisation einer größeren Veranstaltung), und wie definieren wir unsere Zielgruppe (wir möchten neben der Aktzeptanz in Firmen und Schulen auch ungeübte Menschen ansprechen!)?
Was war uns an dieser Stelle wichtig? Die Vorstellung von Linux für ein breites Publikum, Kontakte zu interessanten und/oder interessierten Leuten, eine Menge Spaß, und nicht zuletzt Publicity für die gute Sache. So entstand der Plan: erste Vorschläge kamen: Nägel - Köpfe - draufhauen!

Der Motor

Foto: Benny
Benny, der Organisator

Wenn wir allerdings unseren kleinen, langhaarigen Motor Benny Hagemann nicht gehabt hätten, wäre die Veranstaltung sicher nicht so gut gelaufen. Ein Schüler (unterstützt von den anderen LUG-Mitgliedern, wenn rechtliche oder logistische Dinge das erforderten) hat die ganze Veranstaltung mit Leben gefüllt und dabei seine mehr als respektablen organisatorischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt - und das nicht zum ersten Mal!

Die Umgebung

Persönliche Kontakte zur lokalen Jugendpflege gaben uns die Möglichkeit, das in Kassel sehr zentral gelegene Haus der Jugend nahezu kostenneutral zu nutzen. Schön war dabei, dass wir viele Räume in verschiedenen Stockwerken hatten. Damit konnten wir die Vorträge, die Ausstellungen und die Kontaktecke räumlich trennen.

Und es kam uns noch die Infrastruktur (ISDN Internet Zugang) von Juice-Net (JugendInformationsCentrum, eine Einrichtung des Jugendbildungwerks Kassel) zugute, die wir nutzen durften. Ebenso nützlich war die vorhandene Bar.

Die Verantwortlichen im Haus der Jugend haben uns nach besten Kräften unterstützt, nicht zuletzt, weil mit zwei LUG Aktivisten bereits Beziehungen in punkto Betreuung des Juice-Nets bestanden.

Die Einbeziehung der lokalen Medien

Lange vor der Veranstaltung wurden die lokalen Medien aktiv einbezogen. Wir verschickten Pressemitteilungen an den Hessischen Rundfunk, die lokalen Zeitungen und überregionale Sender.
Dabei stellte es sich als guter Weg heraus, dass wir die persönlichen Beziehungen zu den Medien ausspielten. Irgendjemand kennt den Einen oder Anderen, und schon ist ein Kontakt da. Wo das nicht funktionierte, hat die persönliche Ansprache - durch Besuche - zum guten Gelingen beigetragen, weil es eben ein Unterschied ist, eine Person oder lediglich einen Brief vor sich zu haben!
Wie sich am Ende herausstellte, war das ein guter Zug, denn wir fanden uns sowohl im Fernsehen (in der Hessenschau) als auch in der lokalen Zeitung wieder!

Selbstorganisation von Vorträgen

Nach endlichen Diskussion (eben nicht: nach endlosen!), wurden die Vorträge wie folgt geplant:

Um den beiden Tagen ein unterschiedliches Profil zu verpassen, setzten wir am ersten Tag den Fokus auf Firmen, also die sich professionell mit Computern Befassenden und auf Schulen. Der zweite Tag wurde Otto und Eva Normalanwender gewidmet.

Einladung von Gästen

Wieder waren es die persönlichen Kontakte, die es ermöglichten, den Chefredakteur des Linux-Magazins aus München - Tom Schwaller - bei uns zu haben. Ein anderer Kontakt - noch aus der Studentenzeit - ermöglichte es uns, die lebende und sehr lebendige Legende Wau Holland vom legendären CCC (Chaos Computer Club) einzuladen. Eine gelungene Mischung, wie sich später herausstellte.

Die Unterbringung der Gäste wurde eher unkonventionell gelöst. Ein Schloßhotel hatten wir nicht zu bieten, doch es war auf diese Art (Schlafsack & Iso-Matte) sicher kommunikativer. Wau Holland dazu sinngemäß: ich brauche einen Platz zum Schlafen und ssh, um glücklich und zufrieden zu sein...
Darüber hinaus kamen Gäste, die keinen Vortrag hielten aus Darmstadt, Mönchengladbach und anderen Gegenden, um sich bei uns umzusehen. Das Web aus Kassel wird also hin und wieder gelesen!

Das Finden von Sponsoren

... war in Kassel etwas schwierig. Nicht, dass uns niemand wollte, aber wenn man Veranstaltungen in anderen Regionen im Vergleich sieht, kann man für die Zukunft mehr Beteiligung von den Gewerbetreibenden erwarten. Dennoch wurde die Veranstaltung von Vaternahm (Buchhandlung), von Computer Extra, Devos, gedas (alle aus dem Bereich EDV-Dienstleistungen), NetCom (lokaler Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen), und der Libelle (Werbezeitung) aus Kassel tüchtig als Werbefläche genutzt.

Organisation von Hardware

Um die Veranstaltung angemessen - mit aktueller Hardware - durchführen zu können, reicht es nicht aus, die eigenen Rechner von zuhause mitzubringen. An dieser Stelle kamen die grauen Eminenzen ins Spiel (einige der Organisatoren), die sich - bei persönlichem Risiko - von ortsansässigen Computer Fachhändlern Hardware liehen und für die Veranstaltung zur Verfügung stellten. Dazu kamen natürlich eigene Hardware, viele Laptops und ein Rechner eines SAP-Beraters der Zeitung.

Vor-Installation

Jeweils nach der Arbeit (einige hatten ja Ferien...) wurden von den LUG-Aktivisten Vorträge vorbereitet, DVD-Hard- und Software (»The Matrix«) getestet, ein Oracle Datenbank-Server installiert und das Netzwerk für den großen Tag vorbereitet (mit Wäscheklammern: RFC-2322).

Netzwerkaufbau

Am Vorabend der Veranstaltung wurde es ein wenig hektischer, denn langsam wurde es ernst. Die erforderliche Hardware fehlte noch an allen Ecken und Enden, aber hier nahm die Improvisation ihren Lauf, was die Qualität der Zusammenarbeit auf ein hohes Niveau schraubte!

Foto: Tux mit Wäscheklammer
Unser Pinguin half mit einer Wäscheklammer aus (RFC- 2322)

Strom und Netzwerk, Mikrofon und Video-Beamer wurden so vorbereitet, dass am nächsten Tag alles so laufen konnte, wie es musste.
Zurück zum Seitenanfang

Ausstellungsstücke

Auf der Veranstaltung sollte es natürlich Linux zum Anfassen geben: so gab es eine SAP R/3-Installation auf einem Linux-System zu sehen und Red Hat Linux wurde auf der SUN Sparc Architektur gezeigt. Dass Linux selbstverständlich auch auf gängigen Laptops läuft, konnten wir ebenso demonstrieren.

Darüber hinaus wurden einige Rechner mit aktuellen Betriebssystemversionen (SuSE Linux 6.4, gerade frisch eingetroffen) und aktuellen Office-Versionen und Spielen ausgestattet, um ein Gefühl für Linux im Alltag zu bekommen. Otto und Eva Normalanwender sollte nicht außen vor bleiben! Insgesamt kamen wir auf rund 20 ausgestellte Systeme.

Die Helfer

Die LUG stellte einen großen Teil derjenigen, die das ganze Projekt umsetzten. Dabei kam das Know How aus der Vergangenheit (Installationsparties), die Einsatzbereitschaft, Teamfähigkeit und Flexibilität der Aktivisten der gesamten Veranstaltung zugute.

Keiner war sich zu schade, unter Tische zu krabbeln, den Spezialisten zu fragen, Klammern zu verteilen, Brötchen zu schmieren, die Bewirtung sicher zu stellen und nebenbei Fragen aller Art zu beantworten. Jeder hat nach seinen Fähigkeiten und auch nach dem Lustprinzip das getan, was er erledigen konnte.

Leibliches Wohl

Foto: Katharina hinter der Bar
Katharina hinter der Bar

Für das leibliche Wohl sorgten nette Menschen, die mit Linux im Alltag (noch) wenig zu tun haben, der Idee aber durchaus zugetan sind. Meine Nichten Anke und Katharina waren eine Bereicherung des Teams und hatten ebenfalls eine Menge Spaß. Denn an der Bar werden doch oft die lustigsten und ungezwungensten Gespräche geführt, wie man auf den Bildern sieht!

Startschuß

Am Abend vor der Veranstaltung war schon eine gewisse Hektik vorhanden, aber das kann ja noch gesteigert werden. Der Morgen vor dem Ereignis hatte weit mehr zu bieten. Viel Feinarbeit war noch nötig, wie die Organisation von fehlenden Kabeln und Hubs, das Aufhängen von Plakaten und andere Kleinigkeiten.

Gegen 10.30 Uhr (mit nur 30 Minuten Verspätung - da kann sich die Bahn eine Scheibe von abschneiden...) war dann alles so weit, dass wir zur Begrüßung schreiten konnten: und dann ging's los!

Die Vorträge

Zuerst war Jochen Hein (Autor des Addison-Wesley Buches »Linux - Systemadminstration«) dran, etwas über die Geschichte von Linux bzw. über die unterschiedlichen Distributionen zu erzählen. Dabei kam vor allem eines rüber: es geht nicht einzig um ein Computersystem, sondern um ein Miteinander von vielen Menschen aus allen Erdteilen, die es lernen, miteinander zu kommunizieren und sich dabei näher kommen.

Tom Schwaller (über den die lokale Zeitung am folgenden Montag einen sehr netten, positiven Artikel schrieb) berichtete über allgemeine Trends im Linux-Bereich. Neue Software-Produkte standen im Mittelpunkt seiner Ausführungen.

Foto: Tom Schwaller bei seinem Vortrag
Tom Schwaller bei seinem Vortrag

Wau Holland begeisterte seine Zuhörer mit einem lebendigen Vortrag über Sicherheit, bei dem er von Dirk Meyer unterstützt wurde. Er lehnte sich weit über den Tellerrand Linux hinaus und zeigte mit seinen anschaulichen, amüsanten Geschichten, dass Linux mehr in der Gesellschaft verankert ist, als das dem Einen oder Anderen bewußt war.

Der markanteste Begriff: Komplexitäts-Management: die Welt wird komplizierter, die Menschen sind aufgrund wachsender Komplexität gezwungen, in Teamstrukturen miteinender zu arbeiten: und das auch noch vertrauensvoll... Sicherheit heißt nicht: Geheimniskrämerei, sondern Sicherheit wird durch Offenheit erreicht.

Foto: Wau Holland an der Bar
Wau Holland an der Bar

Der Office-Vortrag (Axel Dürrbaum) zeigte die aktuellen Entwicklungen auf dem insbesondere für Heimanwender interessanten Gebiet (Star-Office, FrameMaker, Applixware...). Vorurteile über die Nutzbarkeit von Linux auf dem Desktop konnten damit zerstreut werden.

Der Multimedia Vortrag (Hans Freitag und Frank Botte) zeigte, dass aktuelle Hardware von Linux beinahe ebenso schnell unterstützt wird wie bei kommerziellen Betriebssystemen. DVD ist vielleicht noch etwas unhandlich, aber es funktioniert (man beachte: wer lesen kann, ist klar im Vorteil!). Noch ist nicht alles, aber sehr vieles möglich!

Der SQL-Vortrag (Andrea Kellner, unsere Alibi Frau aus Koblenz) befaßte sich mit dem professionellen Einsatz eines Oracle Servers unter Linux. Der Vortrag gab darüber hinaus eine Übersicht über die Historie von Datenbanken und Datenmodellen. Es wurde gezeigt, dass gerade auf diesem Gebiet viel mehr Aktivität existiert als noch vor einem Jahr, als die Software-Hersteller noch glaubhaft versicherten, dass Linux für sie kein Thema sei.

Viele Besucher, viele Fragen

An beiden Tage waren jeweils rund 250 Menschen vor Ort. Allein, als Wau Holland seinen Vortrag hielt, waren mehr als 100 Leute allein im Vortragszimmer anwesend.

Im Erdgeschoß, wo sich die Kommunikationszentrale befand, trafen jede Menge Leute ein, die sich wahllos an die vorhandenen LUG-Aktivisten wendeten, um ihre Fragen beantwortet zu bekommen, bzw. um Tips entgegen zu nehmen oder den Mut zu sammeln, es einfach zu tun: Linux installieren (Just do it...)!

Organisatorisch gut war dabei, dass wir vorher ein T-Shirt für fast alle LUG Aktivisten gemacht hatten - so waren sie eindeutig gegenüber den Zuschauern erkennbar. Alle anderen Supporter hatte deutlich lesbare Namensschilder.

Ausklang des Abends

Am Ende des deutlich ausgedehnten ersten Tages (2 Stunden länger als geplant!) waren wir mit einem Großteil der Truppe beim Ägypter, der den Ansturm ebenso souverän bewältigte, wie die LUG den Andrang des Tages.

Foto: Wau Holland - schon wieder an der Bar
Wau Holland - schon wieder an der Bar

Natürlich wurden dann in der Nacht mit weiterer DVD-Software (Mars Attacks) beim gemütlichen Teil des Abends ausgiebige Hard- & Software-Tests durchgeführt...

Der zweite Tag

Der zweite Tag setzte den Fokus auf Otto und Eva Normalanwender, die den Gang zu Dr. Watson scheuen. Es zeigte sich, dass sich deutlich andere Personen im Haus aufhielten, als noch am Vortag.

Foto: LUG Aktivisten bei der Arbeit
LUG Aktivisten bei der Arbeit

Die Fragen gingen mehr in Richtung Installation und Installations-Party. Die auf das Zielpublikum angepaßten Vorträge waren genauso gut besucht wie am Vortag. Und auch wenn die lokale Presse erwähnte, dass es sich um einen reinen Herrenkreis gehandelt habe: hier ein Beweisfoto, dass die Presse es manchmal nicht so genau nimmt mit der Wahrheit...

Foto: Linux: auch ein Betriebssystem für Frauen!
Linux: auch ein Betriebssystem für Frauen!

Was hat gut geklappt?

Was hat nicht gut geklappt?

Fazit

Wir haben eine rundherum gelungene Veranstaltung abgeliefert. Wir haben alle unsere Ziele mindestens erreicht, die meisten sogar noch übertroffen. Es gab regen Zuspruch, viele Fragen, viele Interessierte und einige Anregungen, die uns gezeigt haben, dass wir auf dem richtigen Weg sind (World Domination - Fast!).

Ausblick

Wir werden es wieder tun. Vielleicht nicht in diesem Umfang, vielleicht auch erst wieder im kommenden Jahr, aber wir tun es wieder. In die Listen der angekündigten Installing-Parties trugen sich eine Menge Leute ein - eine solche Party wird es in absehbarer Zeit in Kassel wieder geben! Wer mehr über die Veranstaltung wissen möchte, kann sich an die folgenden Adresse wenden:

Visitenkarte der LUG Kassel

Der Autor: Carsten Böddicker, Diplom Informatiker, ist derzeit bei einem Verlag in Kassel als SUN-Solaris, Sybase und Oracle System-Administrator tätig. Einen großen Teil seiner Freizeit verbrachte er in den vergangenen drei Jahren bei der LUG.

Foto: Parkscheinautomat
P.S.: Der Widerspruch - bemerkt von Wau Holland.

Zurück zum Seitenanfang